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Wen oder was befreit die Befreiungstheologie eigentlich?

27. März 2015

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Was wäre, wenn es in Deutschland in 10 Jahren keine Kirchensteuer mehr gäbe?
8 Kurzgeschichten wurden von den Schülerinnen des Maria Ward Gymnasiums anhand von Interviews mit Vertretern der katholischen und der evangelischen Kirche reflektiert. Was wäre der „worst case“, und was der „best case“.

Anfänglich dachten wir, dass die Interviewpartner die Deutschen Kirchen ohne Kirchensteuer als weniger solidarisch prognostizieren würden. Die Talkgäste allerdings, alles Frauen, waren anderer Meinung. Statt die Kirchensteuer zu befürworten, plädierten Einzelne für eine allgemeine Sozialabgabe wie in Italien praktiziert. Prognose: Die Kirchen würden aufgrund ihres Engagements sogar noch mehr Geld einnehmen. Niemand wünschte sich eine Kirche, in der das Geld im Mittelpunkt stünde. Selbst der Bischof der im Projekt mitwirkte, sah in der Kirchensteuer auch Nachteiliges. Der Kirchenaustritt als Motiv um Geld zu sparen, war zudem den Talkgästen ein Dorn im Auge.  Letztlich wünschten sich alle eine Kirche, die vom Engagement ihrer Mitglieder lebt. Fazit: Die Kirchensteuer fördert sondern hindert ein Engagement im Sinne einer Basiskirche. Sie führt dazu, dass der Einzelne sich in die Komfortzone zurückzieht.

Ein Dialogverfahren mit SchülerInnen des Maria Ward Gymnasiums –
Durchgeführt in der Woche ab dem 24.11.2014
Nach 4 Projekttagen Dialog und Auseinandersetzung mit der Situation der Kirchen in Deutschland waren nun die Mädchen an dem Punkt, sich mit den Inhalten der „Basiskirche in Brasilien auseinandersetzen und ihrem Ursprung. Der Referent war dieser didaktische Weg wichtig, auch wenn er zunächst als Umweg erscheinen könnte. Die Auseinandersetzung mit der „Theologie der Befreiung“ sollte nicht historisch erfolgen, sondern im Hinblick auf die Perspektive für Deutschland entdeckt werden. Dafür mussten aber die Teilnehmer ein Gespür wie die Situation der Kirchen Deutschland gewinnen. Die Auseinandersetzung mit der Kirchensteuer ist hierfür ein guter Zugang, weil sie die Alltagskultur der Kirchen in einem hohem Maß prägt.

Das Dokumentartheater
In den ersten drei Tagen erarbeiteten die 18 Mädchen im Alter zwischen 13 und 15 Texte und Theaterszenen, anhand von Interviews mit Kirchenvertretern. Ansatz und Methoden aus dem „Dokumentartheater“ ermöglichten die künstlerische Visualisierung des mehrtägigen Dialog, das in Artikeln für die Nürnberger Zeitung und einer 90 Minütigen Theaterproduktion mündete. 600 Jugendliche nahmen Anteil am Dokumentartheater.

Die Theologie der Befreiung – Oder die Bedeutung einer Basiskirche mit Veränderungswillen.
Im Anschluss fand ein Gespräch mit dem aus Brasilien angereisten und sich auf Vortragstour befundenen Paulo Suess. Er ist katholischer Priester und wirkt seit vielen Jahrzehnten in Brasilien. Er ist Befreiungstheologe und engagierte sich viele Jahre für indigenen Volksgruppen. Heute berät er die katholische Kirche darin. In Vorträgen propagiert er eine Kirche, die sich dem Fremden auf Augenhöhe zuwendet und dem Kirchenmitglied zu Eigenverantwortung ermutigt. Seine Leitgedanken sind die  Emanzipation, die Partizipation und eine Armen Kirche für die Armen.

Er konnte in seinem Vortrag die Ursprünge der Befreiungstheologie vermitteln, und welche Konsequenzen sie hat. So beschrieb er die Situation der südamerikanischen Kirche in der brasilianischen Diktatur. Die Kirche war gespalten. Es gab Priester, die sich den Herrschenden zuwendeten, aber  diejenigen die sich für die Unterdrückten einsetzten. Manche dieser zahlten für ihr Engagement mit ihrem Leben.

Abschlussreflexion und Erkenntnisgewinn
Zurück im Seminarraum wurde die Bedeutung einer Basiskirche für die deutschen Kirchen reflektiert. Dabei verstanden die Teilnehmerinnen, dass Kirche nur dann lebendig sein kann, wenn Menschen ein existentielles Bedürfnis nach Veränderung haben.

In der Abschlussrunde betrachteten viele der Teilnehmerinnen die Gedanken von Paulo Süß als selbstverständlich. Die Kirchen seien reformbedürftig. Die Mädchen verstünden beispielsweise die Euphorie rund um den neuen Papst nicht. Für sie ist das was er sagt, „ganz normal“. Mit dem neuen Papst scheint die Kirche ein Stückweit in die Normalität anzukommen. Eine Kirche die Gesellschaft verändert, erleben sie in ihrem eigenen Alltag nicht. Die Befreiungstheologie hat das Potential sich selbst zu verändern, und nicht die Gesellschaft.

Die Erfahrungswelten der Weltkirche wurden mittels des Theaters und der Begegnung mit Paulo Süß jugendgerecht angeregt. Und so wie es erfahrungsgemäß bei vielen kulturpädagogischen Prozessen ist, am Ende hat die Künstlerin in den Jugendlichen das Sagen.
Jean-Francois Drozak

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